RJ2 Netzfrequenzinfodienst
Meldegruppe 04
Netzstabilitätsüberwachung
Art der Meldung: Erkennung von instabilen Systemverhalten (Verbundnetz/Region)
Vorstufe des Collapse-Predicion-Meldesystems Gruppe 05
Verbundnetz-Risikoeinschätzung der Meldung : "mittlere bis hohe Risikoeinschätzung, mögliche Systemstabilitätsgefährdung"
Netzinstabilitätsmeldungen (Netzstabilitätsüberwachung)
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Netzstabilitätsmeldung Normal (Level 0), normaler Netzbetrieb (Advance + Basic)
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Netzinstabilität Meldung Level 1, erhöhte Gefahr einer Netzinstabilität (Advance + Basic)
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Netzinstabilität Meldung Level 2, Anzeichen einer aufkommenden oder bestehenden Netzinstabilität (Advance)
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Netzinstabilität Meldung Level 3, deutliche Anzeichen einer aufkommenden oder bestehenden Netzinstabilität (Advance)
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Netzinstabilität Meldung Level 4, deutliche Netzinstabilität erkannt, regionale Abschaltungen sind zu erwarten (in Vorbereitung)
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Netzinstabilität Meldung Level 5, sehr deutliche Netzinstabilität erkannt, regionale Abschaltungen sind möglich oder bereits ausgeführt (in Vorbereitung)
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Netzinstabilität Meldung Level 6, Netzzustand instabil, Blackout/Brownouts möglich oder bereits ausgeführt (in Vorbereitung)
Eine erhöhte Netzinstabilität bedeutet nicht automatisch einen sofortigen Netzzusammenbruch. Sie ist vielmehr ein entscheidendes Warnsignal: Das System hat an Robustheit verloren und ist nun wesentlich anfälliger für externe Störungen wie unerwartete Lastschwankungen oder den Ausfall von Kraftwerken. In diesem Zustand kann eine an sich harmlose Störung eine Kettenreaktion auslösen, die zu weitreichenden Frequenzabweichungen und im schlimmsten Fall zu einem Blackout führt. Die Instabilität zeigt, dass die Sicherheitsreserven des Netzes erschöpft sind und seine Netzfrequenznachführung eingeschränkt ist.
Wichtiger Hinweis: Testphase und Einschränkungen (Start Testphase Oktober 2025)
Das Meldesystem zur Netzstabilitätsüberwachung befindet sich derzeit in der Testphase.
Die Aussagekraft und Genauigkeit der Überwachung sind während dieser Phase begrenzt. Wie im Abschnitt „Einschränkungen während der Testphase“ erläutert, hängt die volle Wirksamkeit des Systems von der Dichte an Messpunkten im Stromverbundnetz ab. Die kontinuierliche Verbesserung und Erweiterung der Messinfrastruktur ist unser primäres Ziel.
Hintergrund: Grundlagen der Netzstabilität
Ein Stromnetz ist ein komplexes, dynamisches System, in dem Stromerzeugung und -verbrauch stets im Gleichgewicht sein müssen. Ein entscheidender Indikator für dieses Gleichgewicht ist die Netzfrequenz. In Europa beträgt die Sollfrequenz 50 Hertz (Hz). Weicht die Frequenz davon ab, deutet das auf ein Ungleichgewicht hin: Eine Frequenz über 50 Hz bedeutet, dass zu viel Strom erzeugt wird, während eine Frequenz unter 50 Hz einen Mangel signalisiert. Starke Abweichungen oder Pendelungen können zu Schäden an Geräten und Kraftwerken führen und im schlimmsten Fall einen Blackout verursachen.
Lyapunov-Exponent und Bifurkation
Die Stabilität eines Stromnetzes lässt sich teilweise mit mathematischen Methoden der Chaosforschung beschreiben.
Der Lyapunov-Exponent bewertet, wie sensibel das System auf kleine Störungen reagiert.
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Ein negativer Exponent steht für ein stabiles System, das Störungen abfedert und zur 50-Hz-Sollfrequenz zurückkehrt. Dies ist der angestrebte Normalzustand.
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Ein positiver Exponent deutet auf ein instabiles, chaotisches System hin, in dem kleinste Störungen zu unvorhersehbaren und unkontrollierbaren Frequenzschwankungen führen können.
Ein weiteres entscheidendes Merkmal ist die Bifurkation. Eine Bifurkation beschreibt einen Punkt, an dem ein System von einem stabilen in einen instabilen Zustand übergeht. Im Stromnetz markiert dies eine kritische Belastungsgrenze. Wenn das Netz an diese Grenze stößt, kann eine kleine Laständerung oder eine plötzliche Einspeisung genügen, um es von einem stabilen Verhalten in ein chaotisches kippen zu lassen.
Typischer Biformationspunkte sind:
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GridSplit (Teilnetzbildung / Inselnetzbildung)
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Lastabwurf (Netzstabilisierungsmaßnahme)
Systemverhalten: Vom Aufschwingen zum Kipppunkt
Das folgende Bild veranschaulicht den Übergang eines Systems von einem scheinbar stabilen in einen instabilen Zustand. Es zeigt eine oszillierende Frequenz, die über einen Kipppunkt in einen unkontrollierbaren Bereich fällt.
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Der grüne Bereich stellt allerdings einen quasistabilen Zustand dar, der keine echte Eigenstabilität besitzt. Hier wird die Netzfrequenz (symbolisiert durch die blaue Kugel) aktiv von den verfügbaren Kraftwerken im Gleichgewicht gehalten.
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Der gelbe Bereich symbolisiert einen instabilen Zustand. Sobald der Kipppunkt überschritten wird, verliert das System seine Kontrolle. Die Netzfrequenz schwingt auf und kann nicht mehr in der Mitte gehalten werden, was im schlimmsten Fall zu einem Netzzusammenbruch führt.
Dieses Modell verdeutlicht, dass selbst ein anfangs kontrolliert wirkendes System durch äußere Einflüsse oder überlastete Regelmechanismen in einen kritischen Zustand geraten kann.

Bild : Beispiel für dynamisches Pendelverhalten
Proaktive Überwachung mit dem RJ2-Netzfrequenzinfodienst
Der RJ2-Netzfrequenzinfodienst nutzt diese fortschrittlichen Konzepte, um die Netzstabilität dynamisch zu überwachen. Anstatt nur auf Frequenzabweichungen zu reagieren, die bereits auftreten, analysiert der Dienst die zugrunde liegende Systemdynamik, um Risiken frühzeitig zu erkennen.
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Lyapunov-Ableitung: Der RJ2-Infodienst überwacht die Änderung des Lyapunov-Exponenten. Eine positive Ableitung, selbst bei einem momentan stabilen System, ist ein Frühwarnsignal dafür, dass das Netz an Stabilität verliert und sich einem chaotischen Zustand nähert. Eine negative Ableitung signalisiert, dass sich das System wieder stabilisiert.
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Bifurkations-Analyse: Gleichzeitig beurteilt der Dienst, wie nah sich das Netz an einem kritischen Bifurkationspunkt befindet. Dies gibt Auskunft über die verbleibende Sicherheitsmarge und ermöglicht es, kritische Betriebszustände proaktiv zu erkennen, bevor sie zu einem Systemkollaps führen können.
Durch diese intelligente Kombination von Lyapunov-Ableitung und Bifurkationsanalyse bietet der RJ2-Infodienst eine umfassende und vorausschauende Überwachung der Netzstabilität. Dies trägt entscheidend dazu bei, die Sicherheit der Stromversorgung in einem sich wandelnden Energiesystem zu gewährleisten.
Der RJ2-Netzfrequenzinfodienst wandelt die komplexen Überwachungsdaten in einen präzisen Meldereport um. Dabei werden der Lyapunov-Exponent und die Bifurkationsanalyse nicht direkt, sondern indirekt verarbeitet. Sie dienen als die wissenschaftliche Grundlage, um kritische Schwellenwerte und Triggerpunkte zu identifizieren, die dann in verständliche und handlungsorientierte Warnmeldungen übersetzt werden.
Was bedeutet das?
Anstatt die rohen mathematischen Werte der Überwachung auszugeben, analysiert der Dienst diese Kennzahlen im Hintergrund, um zu erkennen, wann ein kritischer Zustand erreicht wird. Der Report informiert Nutzer dann darüber, dass beispielsweise ein instabiler Systembereich oder ein Kipppunkt erreicht wurde, ohne sie mit den zugrundeliegenden, komplexen Daten zu überfordern.

Bild: Schematische Darstellung : Ablauf der Netzstabilitätsüberwachung
Einschränkungen während der Testphase
Die aktuelle Netzstabilitätsüberwachung befindet sich noch in der Testphase. In dieser Phase ist es wichtig zu verstehen, dass die Effektivität der Überwachung direkt von der Anzahl und Qualität der Untermessungen abhängt.
Eine effektive Stabilitätsanalyse des Stromnetzes, insbesondere die Bewertung von Lyapunov-Exponenten oder die Nähe zu Bifurkationspunkten, erfordert eine gute Verteilung an Messpunkten im gesamten Verbundnetz.
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Begrenzte Messpunkte: Während der Testphase können die verfügbaren Messdaten noch begrenzt sein. Dies schränkt die Detailtiefe der Analyse ein und kann dazu führen, dass lokale oder regionale Stabilitätsanomalien nicht erkannt werden. Die Aussagekraft der Überwachung ist daher noch eingeschränkt.
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Fokus auf Gesamtstabilität: Derzeit liegt der Fokus auf der globalen Stabilität des Gesamtsystems. Einzelne Schwachstellen oder Engpässe im Übertragungsnetz können möglicherweise nicht präzise identifiziert werden.
Die volle Leistungsfähigkeit des Systems wird erst dann erreicht, wenn es mit einem umfassenden Netzwerk an Echtzeit-Messpunkten verbunden ist. Die kontinuierliche Erweiterung der Messinfrastruktur ist daher ein zentrales Ziel der weiteren Entwicklung.